Freitag, 8. Mai 2015

8. Mai 1915


„Gleich in den ersten Tagen bekommt die Batteriestellung Feuer allerschwersten Kalibers. Wir selbst sind im heftigsten Schießen begriffen. Gilt es doch, die Infanterie bei einem Angriff zu unterstützen. Dutzendweise liegen Granaten und Kartuschen in greifbarer Nähe, Stapel von vollen Munitionskörben sind unmittelbar daneben aufgebaut. „Feuern, was raus geht!“ lautet der Befehl. Jeder gibt sein Letztes, denn es muß ernst stehen da vorne, das spüren wir alle. – Trotz des eigenen Gefechtslärms hört man ihn nur zu gut, den bekannten Ton der „ganz Schweren“. Hu . . a, Hu . . a, Hu . . a . . . . . . Immer lauter, immer näher. Sie lassen sich Zeit, diese unheimlichen Geschosse,  wie wenn sie wüßten, daß es vor ihnen doch keine Deckung gibt! „Hinlegen!“ hört man dann rufen. Dann . . . ein Schwanken des Bodens, ein ungeheures Krachen und ein nicht endenwollender Regen von Dreck und Eisenstücken. Vier Meter vor dem dritten Geschütz ist sie „herein“, ein Loch von 5 Meter Durchmesser und 2½ Meter Tiefe hinterlassend. Vier Meter weiter, und kein Fetzen wäre dort übriggeblieben. – Aber niemand ist verletzt, keine Munition explodiert. Noch ganz erschüttert säubern die Kanoniere notdürftig Verschluß und Geschützrohr von Erde und Dreckbatzen. Es ist ein Augenblick, in dem die Feuerdisziplin der Batterie auf härteste Probe gestellt wird.  Aber vorne bei der Infanterie geht’s auf Leben und Tod, da darf auch unsere Feuerkraft nicht erlahmen. Leutnant Bley hat die Feuerleitung. Er ist der Mann, der dieser Situation gewachsen ist. Während er bisher noch am Fernsprecher saß, Springt er nun plötzlich hinter die Batterie aufs freie Feld. Sie sehen ihn alle dastehen, mit seinem blinkenden E. K. I, hoch aufgerichtet; ungedeckt; hören sein Kommando, ruhig wie immer: „Weiterfeuern!“ hören, wie er dem dritten Geschütz, nur ein ganz klein wenig lächelnd, zuruft: „Da habt ihr Schwein gehabt!“ – und es wird weitergefeuert! Da hört man das Heranheulen von neuem. Herrgott läßt die sich wieder Zeit! In solchen Augenblicken werden Sekunden zur Ewigkeit. – Sie ist da! – Zwei Meter hinter dem zweiten Geschütz. Krach, Dreck, beißender schwarzer Rauch. Am Boden wälzt sich stöhnend der Geschützführer, von einem glühenden Granatsplitter in den Bauch getroffen, – Unteroffizier Dinkelacker von Böblingen. Erst nach einer halben Stunde wird er von seinen Leiden erlöst. Welcher Angehörige der damaligen 7. Batterie erinnert sich nicht mehr dieses mutigen, humorvollen Mannes mit seinem Schlauen Augenzwinkern? Unser Feuer stockt auch jetzt nicht. Ein Schuß 4 Meter vor der Batterie, der zweite 2 Meter dahinter. – Man braucht nicht Artillerist zu sein, um zu wissen, wo der dritte wohl sitzen werde. – Wir hören das leise Klagen des sterbenden Kameraden, aber wir feuern weiter. Mechanisch, ohne Gedanken an das, was kommen wird, in selbstverständlicher Pflichterfüllung bis zum Äußersten. – „Herrgott hilf!“ – Und das Wunder geschieht: Es kommt kein weiterer Schuß mehr..“



aus: „Das Württembergische Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 54 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1929

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