„Eine kurze Strecke südlich von Manre begannen die Anzeichen
des Großkampgebiets. Hinter den Hängen und in den Schluchten lauerten dunkle
Ungetüme von Geschützen. In ihrer Umgebung gähnten große Trichter aus dem
bleichen Kreideboden. Auf der verschlammten Straße war das Gehen schwierig.
Aber endlich war die Höhe erreicht bei Gratreuil. Nur fußhohe Mauerreste
deuteten an, wo einst die Ortschaft gestanden. Kalt wehte der nasse Regen über
die kahle Höhe. Hin und wieder versank einer fluchend in einem Granatloch.
Immer ungemütlicher wurde der Weg. Ganz frische Löcher deuteten an, daß nur
zufällig vorübergehend Ruhe herrsche. An der Stelle wo rechts die sog.
Karcherstraße abbog, lagen mehrere Pferdekadaver im Straßenkot, im Feld
seitwärts Trümmer eines Fahrzeugs. Unwillkürlich beschleunigten sich die
Schritte. Endlich bog links ein stark zerschossener Graben ein. Hier, in der
Gegend zwischen Fontaine und Ripont, kamen die Kompagnien notdürftig in Stollen
unter. Mann an Mann lag naß bis auf die Haut, mit Kot bespritzt bis zum
Halskragen, auf den Treppen und in den Gängen. Aber man war doch untergekommen
und fühlte sich geborgen unter der Erde. Nur der Posten am Eingang starrte noch
in das Dunkel, das die wirren Leuchtkugeln zitternd erhellten oder ferne
Schrapnells, die geisterhaft wie trübe Meteore am Himmel zer-gingen.
Von Zeit zu Zeit schwoll das Feuer an, und dann raste ein wildes
Heer von bellenden, fauchenden, pfeifenden Tönen über die Höhe und in wahnsinniger
Geschwindigkeit dahin, wo mehrfarbige Lichter in den Nachthimmel stachen.
Heulend kam es von dort auch herüber und fiel gellend oder dumpf schwer
krachend in die Schluchten und Senken.
Als der graue Morgen kam, konnte man sich die Gegend betrachten.
Es war eine erschreckende Öde. Jede Spur eines Pflanzenwuchses oder menschlicher
Wohnungen war verschwunden. Nur die äußere Form der Landschaft hatte der
Gifthauch des Krie-ges nicht zerstören können.
Von 10 Uhr ab steigerte sich das Feuer mächtig und tobte den
ganzen Tag über. Niemand wußte recht, was los war. Aber von einem stündlich zu
erwartenden Gegen-angriff wurde immer gesprochen. Zwischen 11 Uhr abends und 2
Uhr nachts rückte das Bataillon in die Bereitschaftsstellung. Das Tal der
Dormoise, in dem Granatloch an Granatloch klaffte, wurde ohne Verluste
überschritten. Im Pionierpark, der hart an den Steilhang des südlichen Ufers
gebaut war, wurden Nahkampfmittel gefaßt. Die Bereit-schaftsstellung, noch
teilweise belegt, war rechts und links vom Protzenweg.
Um diese Zeit erreichte das II. Bataillon die vom III. verlassene
R-1-Stellung.
Am folgenden Tage, dem 30. März, begann das Artilleriefeuer schon
früh um 5 Uhr und steigerte sich stündlich. Seit 10 Uhr früh waren die
Kompagnien gefechtsbereit. Eine Viertelstunde später wurden 9. und 11.
Kompagnie bis in die Höhe des Bataillonsstandes des Kampfbataillons vorgezogen.
Er lag im ehemals vorderen deutschen Graben. Leutnant Schirmer erhielt von dem
Kommandeur des III./234 sogleich Befehl, sich in die Sturmausgangsstellung nach
Punkt 67 vorzubegeben. Selbst auf einer Karte ist es nicht einfach, sich in dem
Grabengewirr, das auf diesem heißumstrittenen Boden entstanden war,
zurechtzufinden. Der Bataillonsgefechtsstand bei Punkt 605 lag in dem ehemals vorderen
deutschen Graben. Von diesem aus hatte die 51. Res.-Division am 15. Februar ein
vierfaches feindliches Grabensystem weggenommen. Die beiden an der Straße Butte
de Mesnil – Cernay liegenden Linien waren nach langem Ringen in die Hände der
Franzosen gefallen, nun aber wiedererobert. Dabei hatte die deutsche
Sturm-ausgangsstellung, in die Schirmer vorgehen sollte, im ehemals zweiten
französischen Graben gelegen.
Zwischen den Punkten 605 und 67 lag heftiges Sperrfeuer, und es
war keine Kleinigkeit, in dem grauenhaft verwüsteten, noch ganz unbekannten
Gelände durch ein Gewirr von Granatlöchern, Stacheldraht, Trümmern und Leichen
in einem Höllenfeuer die Kompagnie vorzuführen. Der Laufgraben war so
verschlammt, daß man darin stecken blieb. Aber Schirmer, als erfahrener
schneidiger Soldat, hatte seine Leute in der Hand. Er ließ sie in kleinen
Gruppen vorspringen und erreichte die befohlene Stelle ohne viel Verlust. Aber
auch der erreichte Graben lag unter starkem Feuer und mehrere Leute wurden
schwer verwundet. Notdürftig suchte man in einigen Löchern Schutz. Da traf auch
schon der Befehl ein, die in vorderer Linie liegenden Kompagnien zu verstärken,
die Grabenstücke 102a – 120, 97 – 120, in die die Franzosen eingedrungen waren,
wiederzunehmen und womöglich Verbindung mit Punkt 95 herzustellen.
Nun gab es im rasenden Sperrfeuer ein Rennen auf Leben und Tod.
Nach längerer Zeit gelang es Schirmer, in den Gräben 97 – 99 und 102a – 103 je
einen Zug zu sammeln. Ein Vorgehen bei Tage über das ganz eingesehene und aller
seiner Deckung beraubten Gelände war aber ausgeschlossen. Darum bat er um zwei
ortskundige Stoßtrupps, die ihn am Abend unterstützen sollten. Abends trafen
die Stoßtrupps ein und drangen nun mit der 9. Kompagnie gegen die Punkte 120
und 95 vor, ohne Verluste zu erleiden. Etwa 20 Franzosen wurden gefangen und
zwei Schnellladegewehre erbeutet. Die gewonnenen Grabenstücke lagen voll von
Toten der Reg. 234 und 172. Jeder grub sich ein, so gut es ging. Gegen 10 Uhr
trafen die andern Kompagnien des III./247 ein. Die abgekämpften Truppen konnten
zurückgehen, und in fieberhafter Eile wurden die alten Gräben wieder
ausgehoben. Rechts neben 9. wurde 10. Kompagnie eingesetzt. Die Stellung lag
etwas vorwärts der Straße Cernay – Perthes, anschließend an die Butte de
Mesnil. Dieser Anschluß war allerdings noch nicht da, der rechte Flügel der 10.
Kompagnie hing in der Luft. In der Lücke sollten noch Franzosen stecken. Es war
eine ungemütliche Nacht.
In derselben Nacht löste das II. Bataillon links ab. 7. Kompagnie
besetzte am weitesten links, 8. rechts davon, 5. und 6. kamen dahinter in
Bereitschaft. Die Stellung der 7. be-stand nur aus Löchern, die 8. konnte nach
einiger Mühe wieder einen Graben herstellen.
Als der Tag graute, beobachtete die 10. Kompagnie, daß der Gegner
sich zum Angriff aufstellte. Auf eine grünrote Leuchtkugel setzte sofortiges
stärkstes Sperrfeuer unserer Artillerie ein. Gleichzeitig aber begann
französisches Feuer auf unsere Gräben und verursachte schwere Verluste. Die 10.
Kompagnie verlor 8 Tote und 15 Verwundete, die 9. in den ersten beiden Tagen 38
Mann. Den Tag über wurde es aber ziemlich ruhig. Nur starkes Streufeuer lag auf
den deutschen Stellungen. Die Mannschaften arbeiteten den ganzen Tag über, um
sich erträgliche Deckung zu schaffen. Dabei wurde im Bereich der 10. Kompagnie
auch ein eingedrückter Unterstand ausgegraben und zwei lebende Franzosen
krochen daraus hervor.“
aus: „Das
Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 247 im Weltkrieg 1914–1918“ Stuttgart,
1924
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