Donnerstag, 20. Juli 2017

20. Juli 1917



Arthur Heimberger.

Arthur Heimberger wurde am 9. April 1893 in Stuttgart als Sohn des öffentlichen Notars Heimberger geboren. Nachdem er im Jahre 1911 die Reifeprüfung am Eberhard Lud-wigs-Gymnasium abgelegt hatte, bezog er die Universität Tübingen, um Rechtswis-senschaft zu studieren. Am 21. Oktober trat er in die Verbindung ein. Er studierte zunächst vier Semester in Tübingen, um im Herbst 1913 sich nach Leipzig zu begeben, wo er bis zum Ausbruch des Krieges sich aufgehalten hat. Wegen eines Magenleidens, das ihn schon am Ende seines zweiten Semesters befallen hatte, wurde er bei seiner Meldung als Kriegsfreiwilliger zurückgewiesen. Er wandte sich daraufhin nach Tübin-gen, um dort seine Studien fortzusetzen. Die Verbindung wählte ihn zum Fuxmajor für die ersten „Kriegs“füxe, einem Amt, dem er sich mit fröhlichem Eifer hingab, wodurch er einen frischen Zug in die kleine, von einer elegischen Stimmung angehauchte Schar der damals in Tübingen weilenden kriegsuntüchtigen Normannen gebracht hat. Bei einer im Januar vorgenommenen Musterung für „k. v.“ erklärt, trat er freiwillig im Februar 1915 beim Ers.-Batl. 119 ein. Am 31. Mai kam er zum ersten Mal ins Feld, und zwar zum aktiven Gr.-Rgt. 119, welches damals im Osten stand. Am dritten Tage der damals einsetzenden großen Offensive gegen die Russen wurde er bei Prashnitz an der linken Hand verwundet, lag hierauf einige Wochen im Reserve-Lazarett zu Templin in der Uckermark und kehrte von dort im September nach Stuttgart zum Ersatzbataillon seines Regiments zurück. Zum zweiten Mal ging es mit Beginn des Jahres 1916 ins Feld, und zwar nach Flandern. Von dort wurde er im März in die Heimat beurlaubt zur Vorbereitung auf sein erstes Examen, das er im Mai mit guter Note bestand. In den schweren Kämpfen an der Somme erwarb er sich das E. K. II; auch erfolgte in dieser Zeit seine Beförderung zum Unteroffizier. I Januar 1917 wurde er zu einem Offiziers-aspirantenkurs nach Münsterlager befohlen. Gegen Pfingsten kehrte er von dort als Vizefeldwebel nach Stuttgart zurück. Aber schon am Pfingstdienstag mußte er die Seinigen wieder verlassen. Es ist sein letzter Abschied gewesen. Er traf sein Regiment an der Scarpe und tat noch sechs Wochen als Zugführer in seiner alten ersten Kompag-nie Dienste. Am 20. Juli 1917 erhielt er bei einem nächtlichen Rundgang als Wachhabender bei Roeux an der Scarpe einen Schuß in den Kopf, an dessen Folgen er, ohne die Besinnung wieder erlangt zu haben, bald darauf starb. Er wurde zunächst bei Noyelles sous Bellone bestattet und dann nach seiner Überführung in die Heimat am 22. November 1917 auf dem Waldfriedhof  in Stuttgart zur letzten Ruhe gebettet. Ein rascher, schöner Tod ist ihm beschieden gewesen, der Mühsale und Leiden des Krieges bis zur Neige gekostet hat, ohne seinen erfrischenden, arglosen Frohsinn einzubüßen. Jede Stelle in seinen Briefen ist durchleuchtet von dieser Heiterkeit seines Gemüts. Nach seiner Verwundung bei Prashnitz schreibt er u. a.:
„….Wir hatten die Nacht in einem Sumpfe zugebracht, in dickem, nassem Nebel, müde von den zwei Gefechten, dem Marsch und dem Grabenausheben. Ein blinder Alarm hatte uns um die Möglichkeit, zu schlafen, gebracht. So lag die stolze 1./119 halt so halbschlafend im Grase herum, alles fror, denn die brennenden Dörfer gaben zwar schöne Flammen, aber waren zu weit weg, als daß sie hätten wärmen können. 4 Uhr 45 ging’s ab durch die nassen Wiesen und Kornfelder, durch Sumpf und Dreck in den nebligen Morgen hinein. Den ganzen Tag regnete es, den ganzen Tag tippelten wir in gleichmäßigem Trott immer weiter, bepackt wie ein Lastesel mit viel Proviant, Patro-nen, zwei Spaten, 1 Beilpickel und all dem Sauzeug, das der Infanterist schleppen muß. Um 10 Uhr war Schluß, es goß richtig, so legten wir uns ins Gras und schliefen bis 1 Uhr, dann ging’s weiter auf Erkundung, die gut ausfiel, trotz unnötiger Schießerei von Seiten der Russen. Sie ergab folgendes: Vor uns liegen die Russen im Walde in einer vorbereiteten Stellung, durch dichtes Drahtverhau geschützt, die Stellung gegen Sicht gedeckt, von der Artillerie schwer zu erfassen. Wir gingen zur Kolonne zurück. Um 10 Uhr begann der Sturm, nach kurzer, unwirksamer Artillerievorbereitung. Entfernung 900/800 m, Gelände ansteigend, Kornfelder. Und die russischen Maschinengewehre klucksten, die Schrapnells platzten, immer vier auf  einmal usw. usw. Das übrige kannst Du ja in allen Feldpostbriefen lesen … Mir kam die Sache noch verhältnismäßig harmlos vor, ich bin halt weitergesaut wie die andern auch. Und auf einmal hatte ich eine. Da hab‘ ich aber den Bogen geschwungen. Erst wollte ich noch weiter mitmachen, aber die Pfote tat so jämmerlich weh und der Knochen stand so unbegreiflich ins Gelände hinaus, daß ich allmählich bedenklich wurde. Und so bin ich halt zum Verband-platz, ließ mich von Staehle Normanniae verbinden, weiter hinten von Neeff Norman-niae trösten. entbot den Russen von Herzen den schwäbischen Gruß … und fuhr Deutschland zu ….“
Von den bösen Tagen im grundlosen Trichtergelände der Somme erzählt er in einem an seine Angehörigen gerichteten Brief u. a.:
„… Und nun denkt Euch: vier Nächte und drei Tage hingen wir vorn. Verkehr mit hinten bloß bei Nacht. Täglich Regen oder nasser Schnee. Kein Unterstand! Und doch hab‘ ich die Sache verhältnismäßig sehr gut überstanden. Es tut mir ja alles weh und meine Füße sind von dem ewigen Wasser geschwollen und runzelig wie ein Wäscherinnenhand, Schrunden an den Händen usw. Aber sonst fehlt mir rein gar nichts. Wie ich’s gemacht habe? Die erste Nacht habe ich durchgeschafft, und bis der Tag kam, hatten wir eine Zigarrenkiste in der Wand, in der zwar niemand Platz hatte, aber drei Mann konnten doch drin schlafen. Mit dem Schaffen Hab ich’s auch weiterhin so gehalten. Wenn’s mich frieren wollte, hab‘ ich halt ein bißle geschafft. Und im übrigen hab‘ ich halt so ane gelebt. Ich bin nun schon so ein Kerl, daß schon ein ganzer Haufen kommen kann, bis ich seelisch darunter leide. Ich bin halt noch munter und fidel. Dies-mal ist mir’s ja schwer gefallen. Es war ja auch ekelhaft! Was man anregte, war nur Dreck, was auf den Boden fiel, war dahin und ersoff im Dreck. es war wirklich ekelhaft ….“
Ja, „es mußte schon ein ganzer Haufen kommen“, bis er seelisch darunter litt – er hätte es nicht besser sagen können. Heimberger gehörte zu den Menschen, die keine Sentimentalität an sich herankommen lassen, die die tiefsten, weichsten und wärmsten Regungen ihres Gemüts unter der Hülle eines immer gleich temperierten liebenswür-digen Wesens zu verbergen wissen. So lernten ich seine Konfüxe schon im ersten Semester kennen. Wie oft hat er die grollende Wolke, die über einem gärenden „Fuxen-sumpfe“ lag, durch seine unerschütterliche, fast kindlich-harmlose Heiterkeit vertrieben. Sein starkes zeichnerisches Talent machte ihn zu einem unentbehrlichen Mitarbeiter am „Fuxendreck“ und bei der Herstellung der Kulissen für das Fastnachtstück. Keiner seiner Mitarbeiter wird vergessen können, wie stark bei diesen Anlässen der Antrieb zum Schaffen war, der von seiner erquickenden Munterkeit ausging. Unter dieser freundlichen Hülle aber, durch die wohl nur wenige bis in sein Inneres vordrangen, brannte ein heißer Wille, der mit stiller Hartnäckigkeit und beharrlichem Fleiß ein Ziel verfolgte, das er sich mit klarem Bewußtsein unverrückbar gesetzt hatte. Und doch verlor sich sein Blick nicht in die Ferne. Er war ein Tatsachenmensch, der in der Gegen-wart wirkte und jederzeit freudig entschlossen war, den Kampf mit den Widerwärtig-keiten des Tages aufzunehmen. Im Krieg war er Soldat, bestrebt, die Pflicht des Augen-blicks zu erfüllen. Über Kriegspolitik verlor er nur wenige Worte. Kein Zweifel erschüt-terte sein sicheres Gefühl eines guten Ausgangs. Diese goldene Hoffnung hat er mit sich ins Grab genommen – ein Trost für uns Lebende, wenn wir des lieben Toten in Wehmut gedenken.“


aus: „Gedenkbuch der Tübinger Normannia für ihre Gefallenen“, Stuttgart 1921

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen